Stolpersteine


Der Arbeitskreis „Stolpersteine in Petershagen“ stellt sich vor

 

Mit diesem Artikel möchten die Mitglieder des Arbeitskreises das Künstlerprojekt „Stolpersteine“ von Gunter Demnig beschreiben und seine und unsere Arbeit darstellen, um aufzuzeigen, was wir in zwei Jahren in Petershagen gemeinsam auf die Beine gestellt haben. Viele Menschen haben eventuell keine rechte Vorstellung davon, was für solch ein Projekt alles realisiert werden muss und welche Voraussetzungen und Vorgaben beachtet werden müssen. Daher hoffen wir, mit diesen „FAQs“ allen Interessierten mehr Klarheit zu verschaffen.


„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“- Intention des Projekts


Stolpersteine sind kleine, quadratförmige Pflastersteine, versehen mit einer 10x10 cm großen Messingplatte. Darauf eingraviert sind nach der Überschrift „Hier wohnte“ der Name eines Opfers des Naziregimes, die Lebens- und Todesdaten, der Deportations- und Todesort sowie der Todesursache, soweit ermittelbar. Vertreten sind alle Opfergruppen: Juden, Sinti & Roma, Euthanasieopfer, Homosexuelle, Jehovas Zeugen, Priester, Kommunisten. Verlegt werden diese Gedenksteine niveaugleich in den Bürgersteig vor den ehemaligen Lebensstätten der Opfer: die letzte, selbstbestimmt gewählte Wohnung, von der aus die Opfer abgeholt, deportiert und in den Tod geschickt wurden. Allerdings lassen wir auch Steine verlegen für Personen, welche der Deportation durch Flucht entkommen sind sowie für solche, die in den Freitod getrieben wurden.


Ins Leben gerufen wurde dieses Projekt von dem Künstler Gunter Demnig, der den Menschen, die von den Nazis zu Nummern degradiert wurden, ihre Namen zurückgeben wollte. Er als Initiator ist die treibende Kraft hinter dem gesamten Projekt.


Ganz konkret bedeutet dies, dass die Namen von damaligen Nachbarn, die brutal aus ihrem Lebensumfeld gerissen wurden, wieder dorthin zurückkehren, wo ihre Träger gelebt haben. Daher betrachten wir jeden einzelnen Stein als ein kleines, individuelles Mahnmal für sich und alle Stolpersteine zusammen als ein großes, dezentrales Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus insgesamt. Mittlerweile wurden seit dem Jahr 2000 insgesamt über 20.000 Stolpersteine in über 480 Orten verlegt - hauptsächlich in Deutschland, aber auch in den Belgien, Niederlanden, Österreich, Polen, Ungarn, Tschechien und der Ukraine.



Die Tätigkeit und Aufgaben des Arbeitskreises

Mit der reinen Verlegung ist es aber nicht getan, vorgeschaltet ist eine sehr langwierige Recherchearbeit!


Im November 2007 hat sich der Petershäger Arbeitskreis „Stolpersteine“ neu gegründet, als Bestandteil des lokalen Vereins „Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge Petershagen“.


Dem Arbeitskreis gehören zurzeit folgende aktive Mitglieder an:


Gabi Damke

Cordula Hagemeier

Florian Hoffmann

Thomas Klaß

Cord Rüter


Gemeinsam möchten wir die Erinnerung an die lokalen Opfer des Naziterrors wach halten, wollen ihre Biographien und Geschichten wieder in die heutige Öffentlichkeit zurückbringen:


Wer waren die Opfer, wie haben sie gelebt, welche Berufe haben sie ausgeübt? Wo befanden sich ihre Geschäfte, in welchen Vereinen waren sie aktiv, wie lebten sie vor der Verfolgung mit ihren Familien in Petershagen? Das sind die Fragen, die uns beschäftigen, wir wollen die anonymen, vergessenen Opfer wieder ein Stück weit in unsere Mitte und unser gesellschaftliches Bewusstsein rücken, auch um zu versinnbildlichen, welcher wertvollen und besonderen Kultur sich die Deutschen damals auf grausame Art und Weise selbst beraubt haben - denn wie sähe unser Zusammenleben heute aus, wenn dies alles nicht geschehen wäre? Die Nachfahren derer, die damals umgebracht und vertrieben wurden, wären heute unsere Freunde und Nachbarn, ihre Synagogen ständen noch, ihre Traditionen wären lebendig. In nahezu allen größeren deutschen Städten gibt es u. a. dank des osteuropäischen Zuzugs wieder aktive jüdische Gemeinden, aber im ländlichen Bereich ist das jüdische Leben weitestgehend verschwunden und nie wiedergekehrt.


Wir alle sind rein ehrenamtlich aktiv und treffen uns in regelmäßigen Abständen, um unsere Ergebnisse und die Organisation eines jeden Verlegungstermins zu besprechen. Unsere erste und sehr erfolgreiche Verlegung mit etwa 100 Teilnehmern fand am 4. Juni 2009 in der Petershäger Innenstadt statt, bei der insgesamt elf Steine verlegt werden konnten, und zwar für folgende Personen und Familien:

 

·        Familie Devries (4 Steine)

·        Familie Oppenheim (4 Steine)

·        Erich Hertz

·        Therese Jacob

·        Frieda Poli.


Bevor wir einen Stein bei Gunter Demnig „anmelden“, muss einiges vorab erledigt sein. Zunächst wählen wir Personen aus, die überhaupt für eine Verlegung in Frage kommen, und zu jedem Namen wird dann eine umfangreiche Biographierecherche durchgeführt, um so detailliert wie möglich einen Lebensbericht erstellen zu können, der über die bloßen Lebensdaten hinausgeht. Dazu nutzen wir verschiedene Datenquellen und Archive, hier eine Auswahl:

 

·        Interviews mit Zeitzeugen

·        Datenbank der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem

·        Archive von ehemaligen Konzentrationslagern

·        Koblenzer Gedenkbuch

·        Historische Sachbücher

·        Kommunalarchive

·        Suchdienst des Internationalen Roten Kreuzes

·        Stadtchroniken

·        Zeitungsarchive.

 

Vieles kann glücklicherweise über das Internet recherchiert werden, aber häufig müssen bestimmte Einrichtungen auch direkt angeschrieben oder aufgesucht werden.

Die von uns erstellen Biographietexte werden während der jeweiligen Verlegung von demjenigen vorgetragen, der die Recherche hauptsächlich geleistet hat, oder z B. auch von Schülerinnen und Schülern. Später werden die Texte mit Quellenangaben auf unserer Homepage veröffentlicht.

 

Zusammenarbeit und Einverständniserklärungen

 

Besonders froh sind wir über die vertrauensvolle Zusammenarbeit sowohl mit der jüdischen Kultusgemeinde Minden, der Stadt Petershagen und dem AK „Stolpersteine Minden“. Laut Ratsbeschluss des Petershager Stadtrates sind wir verpflichtet, die Einverständniserklärung von noch lebenden Anverwandten der Opfer einzuholen, soweit noch ermittelbar ist, ob und wo diese leben. Auch muss vor einer Verlegung von den Eigentümern der betroffenen Häuser eine Einverständniserklärung zur Verlegung eingeholt werden. In Petershagen gibt es u. a. die Besonderheit, dass häufig Teilbereiche des Bürgersteigs nicht im Eigentum der Stadt sind, sondern der jeweiligen Hauseigentümer. Aber auch in den Fällen, in denen dies nicht so ist, müssen wir stets eine Einverständniserklärung vorlegen. Insofern ist es – zumindest in Petershagen - keinesfalls so, dass gegen den Bürgerwillen gehandelt wird oder Eigentümerinteressen nicht gewahrt werden. Mit der Verlegung gehen die Steine als Schenkungen in das Eigentum der Stadt Petershagen über.

 

Wer übernimmt die Kosten?

 

Insgesamt kostet ein Stolperstein grundsätzlich 95 €, darin enthalten sind das Material, die Herstellung und die Verlegung. Wir denken, dass dies ein absolut angemessener Betrag ist. Die Kosten werden ausschließlich durch Patenschaften und Spenden von Privatpersonen, Firmen und Institutionen (z. B. das Deutsche Rote Kreuz) getragen und auf keinen Fall durch öffentliche Gelder. Der Arbeitskreis versucht im Vorfeld jeder Verlegung, potentielle Paten direkt anzusprechen, und bisher konnten wir durch die großzügige bürgerschaftliche Unterstützung alle geplanten Stolpersteine realisieren! Selbstverständlich wird allen Spendern und Paten eine Spendenbescheinigung ausgestellt.

 

Ganz wichtig ist: Es ist keinesfalls so, dass man die Steine wie in einem Katalog „bestellen“ kann, quasi zum „Selbst-Verlegen“ und lediglich mit Verlegungsanweisung. Dies wird zum Teil auf dubiosen und teilweise rechtsgerichteten Homepages im Internet behauptet! Das ist ausgemachter Unsinn und entbehrt jeder Grundlage. Gunter Demnig kommt höchstpersönlich selbst, und er verlegt auch alle Steine selbst, die letzten zehn Jahre ist er landauf, landab und mittlerweile europaweit unterwegs. Dies ist durchaus eine unglaublich anstrengende und kräftezehrende Tätigkeit, für die Gunter Demnig bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat, so u.a. das Bundesverdienstkreuz und zuletzt im September 2009 die Josef-Neuberger-Medaille der jüdischen Gemeinde Düsseldorf.

 

Fazit - Die Stolpersteine als einzigartiges Versöhnungsprojekt

 

Der Arbeitskreis „Stolpersteine in Petershagen“ ist eine von hunderten Initiativen in ganz Deutschland, die aktiv die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wach halten. Jede einzelne Initiative und das Projekt insgesamt sind nicht nur wertvoll wegen der Steine, die letztendlich im Bürgersteig eingelassen werden. Die Verlegung der Stolpersteine ist der Schluss- und Höhepunkt einer jeden Recherche, als dauerhafter Verbleib in unseren Städten und Orten. Besonders wichtig ist aber die Arbeit dahinter, die Geschichten, die wieder lebendig werden, die historischen Daten, die einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und die Netzwerke, die in ganz Europa oder auch weltweit entstehen. Viele Initiativen konnten emigrierte Verwandte und deren Nachkommen aus Übersee ausfindig machen, schon oft ist es geschehen, dass Verwandte lange Reisen auf sich nahmen, um bei der Verlegung persönlich anwesend zu sein. Menschen, die an sich nie wieder deutschen Boden betreten wollten, sind dann doch gekommen und es war möglich, Versöhnung lebendig werden zu lassen. Für die Mitglieder des Arbeitskreises in Petershagen war die erste Verlegung im Jahre 2009 ein sehr bewegendes Ereignis, insbesondere durch die Anwesenheit vom Herrn Kurt Scheurenberg, dem Schwiegersohn von Therese Jacob, und seinem Sohn Harald Scheurenberg, dem Vorsitzenden der jüdischen Kultusgemeinde in Minden. 

 

Wenn Sie Lust haben sollten, im Arbeitskreis mitzuwirken, so sind Sie stets herzlich willkommen!

 

 

Kontaktperson für das Projekt Stolpersteine ist:

Cord Rüter,  Tel.: 05704-164720

 

Spenden oder Geld für Patenschaften erbitten wir auf folgendes Konto:


Kontoinhaber: Arbeitsgemeinschaft  Alte Synagoge Petershagen

Stadtsparkasse Petershagen

Kto: 57 364 150

BLZ: 490 501 01

Verwendungszweck: „Stolpersteine“

 

Autorin: Daniela Giannone

Letzte Aktualisierung: Januar 2013, cr

Daniela Giannone